Ich habe jetzt sehr lange überlegt, ob ich auch noch meinen Senf dazu geben muss oder nicht - ich glaube ich muss doch: Danke an jene, die die wichtigsten Argumente schon vorweggenommen haben.
- Homosexualität ist "gegen die Natur", Mann und Frau zur Fortpflanzung bestimmt
In Gesellschaften, die auf dem Gleichheitsgrundsatz beruhen, ist die Naturalisierung von begründungspflichtigen Ungleichheiten oftmals der letzte Ausweg, um sie nicht hinterfragen zu müssen. Ich gehe jede Wette ein, dass alle hier schon mit anderen intim geworden sind, ohne den dezidierten Wunsch, sich fortzupflanzen (ich hoffe es zumindest für Euch). Verweise auf ziemlich gänge Praktiken in heterosexuellen Partnerschaften, bei denen eine Schwangerschaft auszuschließen ist, wenn mich Dr. Sommer damals nicht angelogen hat. Und stelle desweiteren die Frage, ob ich bewusst kinderlose Paare eigentlich auch ablehnen bzw. zumindest als befremdlich ansehen sollte, wo ihnen die Natur doch alles mitgegeben hat, sich fortzupflanzen. Warum sind die verdammte Pille und der Gebrauch von Kondomen denn erlaubt, wenn es doch unsere natürliche Bestimmung ist, uns permanent zu schwängern bzw. schwängern zu lassen? Leben und leben lassen, es wäre eigentlich so einfach ...
- Es geht nicht um das Thema an sich, es geht um Sardinien
Einverstanden. Ich bin gerade zu faul zu suchen, aber verweise auf unzählige Threads hier, die den Sarden und Sardinnen Rückständigkeit, Verbohrtheit, usw. vorwerfen. Von Sardininnen berichten, die ihr erstes Mal auf Strandparkplätzen im Auto erleben, weil die Eltern nicht darauf klarkommen, dass die Kinder, insbesondere Töchter, erwachsen werden. Es mag sicherlich sinnvoll sein, sich für die Kultur seines Gastlandes zu öffnen und diese zu respektieren. Wenn mit dieser Kultur jedoch Ausgrenzung, Diskriminierung und soziale Probleme einhergehen, nein, dann muss ich das nicht gut finden. Niemand verlangt von den Sard_innen, dass ich nackt eine Kirche besichtigen darf. Niemand, ob mit homo- oder herterosexueller Neigung braucht auf Verständnis hoffen, wenn er seine Neigungen in der Öffentlichkeit auslebt und sich dabei nicht um Zuschauer schert. Wiederum, leben und leben lassen ... Aber umgekehrt braucht von mir keiner Verständnis erwarten, wenn er anderen mit Verachtung begegnet, weil sie nicht seinem Lebensentwurf entsprechen, ganz egal ob in Bayern oder Sardinien. Platt und übertrieben gesprochen: Ich mache im Iran auch nicht bei einer Steinigung mit (oder toleriere sie auch nur), nur weil es vielleicht der dortigen Kultur entspricht. Und ein "gay-freundlicher" Strand verletzt niemand. Historisch schon einmal erst recht keinen Sarden, der mit dem Meer tendenziell eh nix anfangen kann.
- Ich unterstreiche ja auch nicht, dass ich auf Frauen stehe
Ja, und warum nicht? Wegen der ersten beiden Punkte. Du wirst mit dieser Neigung als "normal" angesehen, während alles andere "anders", "unnormal", "vom anderen Ufer" (alles hier aus diesem Thread), usw. ist. Wir müssen uns nicht rechtfertigen, dass wir sind, wie wir sind. Es wäre toll, wenn Veranstaltungen wie der CSD, dezidierte Schwulenclubs, "gay-freundliche" Hotels und Badestrände überflüssig wären. Und wenn ich mir die Veranstaltungen hier in deutschen Großstädten teilweise ansehe, sind sie ja auch nur noch ein Anlass für das nächste Besäufnis, ebenso wie Fußballglotzen oder Schützenfest. So lange es aber auch nur irgendwen gibt, der sich trotzdem darüber echauffiert, scheinen sie ihre Berechtigung zu haben. Und umgekehrt - ich bin mir gerade in Sardinien nicht sicher, wie weit die Gesellschaft ist, Bea beschreibt das ja recht eindrucksvoll. Natürlich wäre es toll, wenn sämtliche Hotels, Strände, Vereine, usw. allen offenstünden. Aber so lange dem eben nicht so ist, finde ich es nur sinnvoll, Gebiete einzurichten, sich als offen ausweisen - natürlich nur so lange, wie sie auch Heteros und weiß ich wem noch offen stehen. Unzweifelhaft ist die Vermischung von Nudismus und Homosexualität unglücklich, weil natürlich damit der Eindruck erweckt wird, es handle sich um einen Strand für Aliens.
- Und zuguterletzt: Homosexuelle Menschen sind aufdringlich
Ähm, nein. Weil es nicht "die Homos" gibt, sondern Menschen, die noch verschiedenste andere Merkmale haben, unter anderem eine individuelle Persönlichkeit, die intro- oder extrovertierter sein kann. Ich bin mir sehr sicher, dass genug Leute mit dieser Neigung herumlaufen, bei denen wir es nicht erahnen. Umgekehrt braucht man nur die Gala, Bunte oder wie die ganzen Schundblätter heißen aufzuschlagen, um permanent mit der Sexualität und den Beziehungen von heterosexuellen Menschen konfrontiert zu werden. Außerdem bin ich mir sicher, dass so mancher Vermieter hier Storys über das (Nicht-)Benehmen von Heteros erzählen könnte, die mit "aufdringlich" noch nett beschrieben wären.
Es gibt übrigens jede Menge Menschen an sardischen Stränden, statistisch gesehen zumeist Heteros, die ich persönlich unansehnlich finde. Bierbäuchige und mit Flaschen und Kippen um sich schmeißende Menschen, Frauen mit Silikonbrüsten, an den Strand scheißende Kinder, Hunde und Erwachsene, String-Bikinis auf Schwabbelärschen jeglichen Geschlechts, vor Jahren gestochene Tattoos auf Faltenhaut, Leute, die nicht kapieren, das Wasser Töne sehr gut weitergibt und die den ganzen Strand zusammenbrüllen, Bootsfahrer, die ihre Toilette im Meer reinigen, Teerklumpen, unrasierte Achseln, Schweißgeruch und was weiß ich noch. Aber ein als gay-freundlich ausgewiesener Strand ist jetzt das Ende des Abendlands? Im Ernst?