Faiza und die Flucht
Dies ist die Geschichte von Faiza und ihren drei Kindern. Sie mussten aus Syrien fliehen und landeten auf der griechischen Insel Kalymnos, unweit von Kos in der Ägäis.
An einem Tag im April 2016 treffe ich mich mit Faiza und ihrer jüngsten Tochter. Sie möchten mir ihre Geschichte erzählen.
Auf der Insel Kalymnos gibt es einen Brauch. In der Woche vor Ostern beginnen die Einheimischen, in den Bergen Dynamit zu sprengen. Dies ist eine Tradition, um das Osterfest einzuleiten.
Plötzlich ein lauter Knall, wir zucken alle zusammen. Ich schaue meine Begleiter sorgenvoll an, sie zucken mit den Schultern und sagen: „In Syrien passiert das jeden Tag. Wenn man auf den Markt geht, muss man sich beeilen. Sonst kann es sein, dass man durch eine Autobombe stirbt“.
Am 01 März 2016 macht sich Faiza mit ihren zwei Töchtern und ihrem Sohn auf den Weg von Qamishle über den Irak in die Türkei. Die Stadt Qamishle liegt im Norden von Syrien an der Grenze zur Türkei. An der syrisch-türkischen Grenze wird vom türkischen Militär auf die Flüchtlinge geschossen. Deshalb muss die Familie über den benachbarten Irak flüchten.
In Syrien wartet Faiza mit einer Gruppe von Flüchtlingen in einem Haus auf einen Schlepper. Eines nachts kommt er und sagt: „Rennt“! Sie rennen zwei Stunden lang.
Die Kinder sind oft laut. Dann geben die Schlepper ihnen Medizin zum Ruhigstellen. Einige Flüchtlinge müssen die Flucht unterbrechen, weil die Kinder nicht aufhören zu schreien.
Um vier Uhr morgens kommt die Gruppe nach Kurdistan, wo sie zwei Tage warten müssen. Der Schlepper findet einen Weg über die Berge. Es ist ein sehr schwerer und harter Weg, der 16 Stunden lang durch Flüsse und über Berge dauert.
Ich sehe den 6 jährigen Sohn von Faiza vor mir und habe Bilder im Kopf. Ein schmales, hübsches Kind kämpft sich 16 Stunden lang durch die Berge, überquert Flüsse. Und warum? Weil der kürzere und weniger beschwerliche Weg in die Freiheit in den Tod führen würde.
In der Türkei angekommen, wird die Gruppe von einem Schlepper zum anderen gebracht. Die Flucht durch die Türkei kostet pro Person 750 €.
Mit einem Bus werden Faiza und die anderen nach Izmir gebracht. Dies dauert insgesamt 30 Stunden. In Izmir sind sie 15 Tage lang.
Auf die Frage, wie es ihnen in der Türkei erging, hat Faiza nur diese Antwort: „Schlimm“.
Sie senkt den Blick, starrt verloren und traurig auf den Tisch.
Die Familie findet einen Schlepper, der sie nach Griechenland bringt. Der Deal: 1400 € pro Person, kleine Kinder zahlen die Hälfte.
Zwei Tage warten sie in Bodrum auf die Überfahrt.
Während dieser Zeit wohnt die Familie unter guten Bedingungen bei Einheimischen in Bodrum. Dort verlassen sich nicht das Haus, aus Angst von der Polizei aufgegriffen zu werden.
Zwei Tage müssen sie warten, dann kann Faiza mit ihren Kindern und 16 anderen Menschen in ein Boot steigen.
Der Schlepper sagt, dass es in Griechenland Hilfsorganisationen gibt und dass sie dort in Sicherheit sein werden.
Es sind 9 Frauen und Kinder in einer winzigen Kajüte untergebracht. Die mitfahrenden Männer sind an Deck untergebracht. Faiza zeigt auf den Tisch um mir zu zeigen, wie klein die Kabine war. „Dort kauerten wir und fuhren eine Stunde über das Meer“.
Ich versuche, mir das vorzustellen. Der Tisch, an dem wir sitzen, ist in etwa so groß wie eine normale Wohnungstür. Allein bei dem Gedanken daran bekomme ich Platzangst.
Die Gruppe landet einer Insel, Name unbekannt. Es ist nur griechisches Militär dort. Der Schlepper entkommt mit einem Jetski, er ist zu schnell für die Soldaten. Die erschöpften Flüchtlinge werden nach Kalymnos gebracht.
Am 01 April 2016 erreichen sie Kalymnos, am 02. April 2016 werden sie dort registriert.
Die Menschen werden durchsucht, die Pässe werden ihnen abgenommen.
Die Pässe werden kontrolliert, um auszuschließen dass Terroristen unter den Flüchtlingen sind. Anschließend bekommt Faiza alles zurück.
Im Anschluss werden sie in die Flüchtlingsunterkunft gebracht und dort von der Gruppe der freiwilligen Helfer_innen mit Essen, Kleidung und allem Notwendigen versorgt.
Ich frage Faiza nun, welches ihre momentanen Probleme sind. Sie sagt, dass es auf Kalymnos keine Probleme gibt. Die Polizei würde sie und die anderen Flüchtlinge gut behandeln. Allerdings musste sie noch einmal reisen, um auf Rhodos Asyl zu beantragen. Die Erfahrung auf Rhodos hat ihr zugesetzt. Ich frage, ob sie mir davon erzählen möchte. Ein selbstbewusstes und lautes „Yes“ ist die Antwort.
In Begleitung von zwei freundlichen Polizisten werden Faiza mit ihrer jüngsten Tochter (15) und dem Sohn (6) nach Rhodos gebracht.
In Rhodos angekommen, warten andere Polizisten auf sie und sie werden in ein Gefängnis gebracht.
Die anderen Polizisten fahren zurück nach Kalymnos. Ihre Telefone und alles andere wird ihnen abgenommen. Ein Grund dafür wird ihnen nicht genannt.
Faiza und die Kinder bekommen nichts zum Essen. Sie treffen andere Flüchtlinge, die ihnen etwas geben. Sie werden wie Kriminelle behandelt. Es gibt kein Bett, alle müssen auf dem Boden schlafen, auf alten Teppichen. Es ist schmutzig, es gibt kein Wasser. Sie liegen draußen neben den Mülleimern, ohne Dach unter freiem Himmel. Keine Decken, kein Sonnenschutz, kein Regenschutz, nichts.
Der kleine Sohn wird krank, er hat Magen - und Rückenschmerzen. Die hygienischen Zustände sind sehr schlecht. Weil es keine Wasserhähne gibt, müssen einige Frauen das Wasser für die Babymilch aus der Toilette nehmen.
Faiza´s Tochter hat sehr viel Angst, auch vor den anderen Gefangenen. Faiza sagt:„Wir waren im selben Gefängnis untergebracht, wie die Kriminellen“.
Ohne Nahrung und Wasser warten sie auf die Formalitäten. Fünf Tage lang.
Faiza erzählt: „Als sie uns zur Registrierung brachten, mussten wir Erwachsene Handschellen anlegen“.
Es ist nichts organisiert, es gibt keinen Übersetzer. Die Polizisten schreien die Kinder an, damit sie ruhig sind.
Fünf Tage lang kann die Familie sich nicht waschen, so gut wie nichts essen und trinken.
Sie sind alle glücklich, als sie nach Kalymnos zurückkehren dürfen.
Ich frage Faiza, wohin sie nun mit ihren Kinder reisen möchte. Was sie sich von ihrem neuen Leben erhofft.
Sie sagt: „Nach Deutschland, weil mein Mann seit sieben Monaten in Köln ist.“
Sie zeigt mir ein Dokument auf ihrem Smartphone. Ihr Mann hat es ihr geschickt und sie weiß nicht, was es zu bedeuten hat. Ich erkläre ihr, dass dies eine Aufenthaltsgenehmigung ist. Faiza lächelt.
Meine letzte Frage lautet, was sie sich für die Zukunft wünscht.
Sie möchte, dass die Familie wieder zusammen ist. Die Kinder sollen ihre Ausbildung und die Schule beenden.
Die Frau möchte ihren Mann sehen, sie wollen wieder eine Familie sein und in Ruhe zusammen in einem Haus leben.
Es sind die bescheidenen Wünsche einer Frau, die viel Leid erfahren musste.
Faiza setzt alle ihre Hoffnungen auf Deutschland. Dieses Land, das sie noch nicht kennt und in dem ihr Ehemann jetzt ist.
Zuletzt ist ihr eins noch wichtig:
Sie wollen den Leuten in Deutschland sagen, dass sie Angela Merkel lieben. Viele Syrer benennen ihre Kinder nach ihr.
„She is like a mother for us“….