Flucht übers Mittelmeer
Fotoclaudi
Sehr aktives Mitglied
Guten Abend,
hier mal wieder ein Augenzeugenbericht einer ehrenamtlichen Helferin auf Kos. Nichts für schwache Nerven.
Ich erzählte euch von meinem Spaziergang im Lampi und versprach euch eine Fortsetzung auf der anderen Seite von Kos Stadt - Psalidi. Zusätzlich möchte ich euch von der Abhängigkeit von Preisen und "Reisebedingungen" berichten. Möglicherweise ist deshalb der Post nicht für jedermanns Psyche geeignet aber er erklärt mal wieder mehr die ekelhafte Skrupellosigkeit von Schleppern und noch mehr die Widerwärtigkeit der derzeitig stattfindenden Politik.
Dieser Strandabschnitt wird gern von Windsurfern genutzt und ist - eben aufgrund der Winde und Strömungen - auch das häufigste Ankunftsziel der Flüchtenden. Er erstreckt sich auf der von uns patrouillierten Strecke auf ungefähr 3-5 Kilometer. Die Mengen an Westen auf den Fotos ist das Ergebnis von ungefähr 10 Tagen, denn es gibt hier einen Aufräumdienst, schließlich sollen die Touristen hier gern ihren Urlaub verbringen.
In windigen oder sehr regnerischen Nächte kommen nur wenige Boote mit insgesamt um die 100 Personen an - wenn sie denn ankommen. Auch mein Mädchen mit der roten Jacke kam in einer solchen Nacht und auch der kleine Junge, von dem ich euch berichtete, verlor fast seine gesamte Familie unter diesen Bedingungen. Beide Familien trugen keine Rettungswesten. Denn sie hatten das Pech, nicht viel Geld zu besitzen.
Die Schlepper quetschen auch unter solchen Bedingungen in die kleinen Gummiboote, die eine offizielle Zulassung für 3 Personen haben, weiterhin 12 bis 15 Personen rein. Es ist schlicht und ergreifend kein Platz für Gepäck, welches normalerweise einen Aufpreis von 50 Euro pro Rucksack kostet und natürlich auch nicht für Rettungswesten.
Ich habe euch ein solches Boot mal auf Amazon rausgesucht, damit ihr ein besseres Gefühl für die Stabilität und vorallem für die Größe bekommt:
http://www.amazon.de/Intex-Schlauchboot-Chal…/…/ref=sr_1_17…
Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass selbst bei einer kleinen Welle oder bei einer Bugwelle von den großen Fähren und Lastenschiffen, die dort auch verkehren, ein oder mehrere Menschen über Bord gehen. Versucht ihr mal 12 Menschen auf 2 mal 1 Meter zu platzieren! Ja, dass geht, ich habe es mit eigenen Augen gesehen und kann es dennoch nicht glauben.
Preise
Eine Fahrt in einer solchen Todesnacht kostete letzte Woche 400 Euro pro Person - ganz egal ob Baby oder Erwachsener. In einer ruhigen Nacht liegt sie bei 1300 Euro. In einem großen Fährboot (sehr selten, kommt aber auch vor) kostet eine Überfahrt bis zu 2000 Euro. Bei letzterem ist sogar eine Rettungsweste inkludiert.
Zum Vergleich: Die schöne große Fähre mit Sitzplatz auf dem Außendeck für uns Europäer und Menschen mit dem richtigen Pass dauert etwas mehr als 30 Minuten und kostet um die 20 Euro (je nachdem wo ihr sitzen wollt). Die Fahrt mit dem Gummiboot dauert bis zu 6 Stunden. Für 5 Kilometer.
Ich habe in meiner Zeit keine der stürmischen Nächte erlebt, in der nicht Menschen gestorben sind. Meist sind es die Familien, die einfach nicht für alle Personen so viel Geld zusammenkratzen können. Überlegt mal: Mutter, Vater, eine Tante, 3 Kinder. 6x 1300 Euro =7.800 Euro! So viel hätte ich auch nicht mal als Reisegeld für fünf Kilometer von 4.200 zurückzulegenden Kilometer. So weit ist es von Homs nach Berlin, wenn es auf der schnellsten Strecke über die Balkanroute gehen würde.
Wie verzweifelt müssen Menschen sein, die diesen Weg auf sich nehmen? Die wissen, dass das Meer sehr häufig Menschen frisst? Die gut informiert sind, weil sie in ihrem früheren Leben so lebten, wie wir das taten und tun? In schönen Häusern, mit gutbezahlten Arbeitsstellen, Kindergartenkindern und die sich früher solche Fragen wie wir uns heute stellten? Fragen wie: Welches ist die richtige Schule für mein Kind? Können wir uns ein zweites Auto leisten? Wohin geht es in den Urlaub? Warum darf ich nicht ins Kino?
Wie weit weg sind diese Menschen von unserer Realität?
Manchmal nur 5 Kilometer. Und dennoch reicht es zum Sterben.
PS: Ja, dass ist alles Mafia und ja, sie funktioniert sehr gut in der Türkei. Auf der anderen Seite ist der Strandabschnitt ähnlich klein und dennoch "schaffen" es jede Nacht die Schlepper bis zu hundert Boote innerhalb weniger Stunden loszuschicken. Überlegt euch mal: Boot hinbringen, Außenborder ran, Menschen hinbringen, ins Boot stopfen, losschicken. Überlegt euch die Logistik und die benötigte Zeit dahinter - und das auf 5 Kilometer. Und jetzt überlegt euch mal, ob es nicht möglich wäre, dies zu verhindern.
hier mal wieder ein Augenzeugenbericht einer ehrenamtlichen Helferin auf Kos. Nichts für schwache Nerven.
Ich erzählte euch von meinem Spaziergang im Lampi und versprach euch eine Fortsetzung auf der anderen Seite von Kos Stadt - Psalidi. Zusätzlich möchte ich euch von der Abhängigkeit von Preisen und "Reisebedingungen" berichten. Möglicherweise ist deshalb der Post nicht für jedermanns Psyche geeignet aber er erklärt mal wieder mehr die ekelhafte Skrupellosigkeit von Schleppern und noch mehr die Widerwärtigkeit der derzeitig stattfindenden Politik.
Dieser Strandabschnitt wird gern von Windsurfern genutzt und ist - eben aufgrund der Winde und Strömungen - auch das häufigste Ankunftsziel der Flüchtenden. Er erstreckt sich auf der von uns patrouillierten Strecke auf ungefähr 3-5 Kilometer. Die Mengen an Westen auf den Fotos ist das Ergebnis von ungefähr 10 Tagen, denn es gibt hier einen Aufräumdienst, schließlich sollen die Touristen hier gern ihren Urlaub verbringen.
In windigen oder sehr regnerischen Nächte kommen nur wenige Boote mit insgesamt um die 100 Personen an - wenn sie denn ankommen. Auch mein Mädchen mit der roten Jacke kam in einer solchen Nacht und auch der kleine Junge, von dem ich euch berichtete, verlor fast seine gesamte Familie unter diesen Bedingungen. Beide Familien trugen keine Rettungswesten. Denn sie hatten das Pech, nicht viel Geld zu besitzen.
Die Schlepper quetschen auch unter solchen Bedingungen in die kleinen Gummiboote, die eine offizielle Zulassung für 3 Personen haben, weiterhin 12 bis 15 Personen rein. Es ist schlicht und ergreifend kein Platz für Gepäck, welches normalerweise einen Aufpreis von 50 Euro pro Rucksack kostet und natürlich auch nicht für Rettungswesten.
Ich habe euch ein solches Boot mal auf Amazon rausgesucht, damit ihr ein besseres Gefühl für die Stabilität und vorallem für die Größe bekommt:
http://www.amazon.de/Intex-Schlauchboot-Chal…/…/ref=sr_1_17…
Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass selbst bei einer kleinen Welle oder bei einer Bugwelle von den großen Fähren und Lastenschiffen, die dort auch verkehren, ein oder mehrere Menschen über Bord gehen. Versucht ihr mal 12 Menschen auf 2 mal 1 Meter zu platzieren! Ja, dass geht, ich habe es mit eigenen Augen gesehen und kann es dennoch nicht glauben.
Preise
Eine Fahrt in einer solchen Todesnacht kostete letzte Woche 400 Euro pro Person - ganz egal ob Baby oder Erwachsener. In einer ruhigen Nacht liegt sie bei 1300 Euro. In einem großen Fährboot (sehr selten, kommt aber auch vor) kostet eine Überfahrt bis zu 2000 Euro. Bei letzterem ist sogar eine Rettungsweste inkludiert.
Zum Vergleich: Die schöne große Fähre mit Sitzplatz auf dem Außendeck für uns Europäer und Menschen mit dem richtigen Pass dauert etwas mehr als 30 Minuten und kostet um die 20 Euro (je nachdem wo ihr sitzen wollt). Die Fahrt mit dem Gummiboot dauert bis zu 6 Stunden. Für 5 Kilometer.
Ich habe in meiner Zeit keine der stürmischen Nächte erlebt, in der nicht Menschen gestorben sind. Meist sind es die Familien, die einfach nicht für alle Personen so viel Geld zusammenkratzen können. Überlegt mal: Mutter, Vater, eine Tante, 3 Kinder. 6x 1300 Euro =7.800 Euro! So viel hätte ich auch nicht mal als Reisegeld für fünf Kilometer von 4.200 zurückzulegenden Kilometer. So weit ist es von Homs nach Berlin, wenn es auf der schnellsten Strecke über die Balkanroute gehen würde.
Wie verzweifelt müssen Menschen sein, die diesen Weg auf sich nehmen? Die wissen, dass das Meer sehr häufig Menschen frisst? Die gut informiert sind, weil sie in ihrem früheren Leben so lebten, wie wir das taten und tun? In schönen Häusern, mit gutbezahlten Arbeitsstellen, Kindergartenkindern und die sich früher solche Fragen wie wir uns heute stellten? Fragen wie: Welches ist die richtige Schule für mein Kind? Können wir uns ein zweites Auto leisten? Wohin geht es in den Urlaub? Warum darf ich nicht ins Kino?
Wie weit weg sind diese Menschen von unserer Realität?
Manchmal nur 5 Kilometer. Und dennoch reicht es zum Sterben.
PS: Ja, dass ist alles Mafia und ja, sie funktioniert sehr gut in der Türkei. Auf der anderen Seite ist der Strandabschnitt ähnlich klein und dennoch "schaffen" es jede Nacht die Schlepper bis zu hundert Boote innerhalb weniger Stunden loszuschicken. Überlegt euch mal: Boot hinbringen, Außenborder ran, Menschen hinbringen, ins Boot stopfen, losschicken. Überlegt euch die Logistik und die benötigte Zeit dahinter - und das auf 5 Kilometer. Und jetzt überlegt euch mal, ob es nicht möglich wäre, dies zu verhindern.